Kaffeetrinken mit der Vizepräsidentin des Bundestags – Ein Bericht über das erste Treffen des Wahlkreisrats in Erfurt – Weimar – Weimarer Land II

10. Juli 2023
AustauschErfurtHalloBundestag 1

Am 31. Mai 2023 fand das erste Treffen des Wahlkreisrats Erfurt – Weimar – Weimarer Land II statt. Bei schönstem Sonnenschein traf Bundestagsvizepräsidentin und Abgeordnete des Wahlkreises, Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen) zusammen mit ihrer Mitarbeiterin Henriette Jarke auf vier Teilnehmende des Wahlkreistags und eine Begleitperson in einem Café in der Erfurter Innenstadt. 

Hintergrund des Treffens war erstens, dass Katrin Göring-Eckardt am Wahlkreistag Anfang des Monats terminlich verhindert war. Zweitens drehte sich das Treffen um die Frage, wie der Wahlkreisrat zukünftig arbeiten möchte.

 

„Danke, dass Sie sich die Zeit nehmen! Dieser Austausch ist sehr wichtig für uns Politiker:innen.“ (Katrin Göring-Eckardt)

Wir starteten mit einer ausgedehnten Vorstellungsrunde, an die sich Fragen rund um die Arbeit und das individuelle alltägliche Erleben von Frau Göring-Eckardt in ihrer Position anschließen. „Genau dieser Austausch ist es, der Abgeordnete plötzlich so nahbar macht“, kommentierte eine der Wahlkreisrätinnen später das Eingangsgespräch. 

Anschließend stellten die Wahlkreisrät:innen die am Wahlkreistag erarbeiteten Visionen für das Verhältnis zwischen Bundespolitik und Bevölkerung vor. 

Vision 1: nachhaltiges Regieren

In Vision 1 wünschten sich die Teilnehmenden des Wahlkreistags vor allem, dass es eine transparentere und konsequente Fehlerkultur gebe. Außerdem sei Politik ein Full-Time Job, verlange daher eine gewisse Fachkompetenz und ließe keine Nebentätigkeiten zu. Darüber hinaus wünschten sich die Teilnehmenden, dass der Fraktionszwang gelockert würde. Die Wahlkreisrät:innen ergänzten, dass dieser Vision die Beobachtung des oft leeren Plenarsaals zugrundeliegt, wodurch das Gefühl entstünde, Politiker:innen würden ihren Job nicht ernst nehmen. Zudem sehe man immer wieder Politiker:innen an ihren Handys. 

Katrin Göring-Eckardt zeigte Verständnis für die Vision, betonte jedoch, dass der leere Plenarsaal auch damit zusammenhänge, dass zeitgleich andere Sitzungen stattfänden. Auf den Einwurf, dass immer öfter anwesende Politiker:innen an ihren Handys zu sehen seien, erwiderte Katrin Göring-Eckardt, dass es durchaus sinnvoll sei, dass Laptops im Plenarsaal verboten sind, gleichzeitig oft Zeit zum Durchsehen und Beantworten von E-Mails fehle. Insbesondere die Sitzungswochen seien meist stark durchgetaktet. Zudem betonte sie, dass die meisten Abgeordneten sehr viel arbeiten und keineswegs aufgrund mangelnden Pflichtbewusstseins im Plenum fehlen würden. Ihre Erklärung, wie ein normaler Tag in einer Sitzungswoche in Berlin aussieht, schuf Verständnis unter den Anwesenden. 

Abgeordnete zu sein sei in jedem Fall ein Full-Time Job, „anders geht es gar nicht.“ Frau Göring-Eckardt betonte aber auch, dass die durchschnittliche Zeit als Abgeordnete:r im Bundestag ungefähr sieben Jahre beträgt. Deshalb sei es für viele gar nicht möglich, ihre eigentlichen Berufe ganz aufzugeben. Sie verstehe durchaus, dass es für manche wichtig sei, zumindest zu einem notwendigen Mindestmaß weiter in dem zuvor ausgeübten Beruf  tätig zu sein. 

Vision 2: Unterstützung beim selbstbestimmtes Aufwachsen

Die zweite Vision vom Wahlkreistag fordert Unterstützung für Kinder und Jugendliche, damit sie zu selbstständigen Menschen heranwachsen können. Bildung sollte deshalb stärker bezuschusst und auf Bundesebene thematisiert werden. Anträge sollten schneller genehmigt, Gelder einfacher abrufbar sein. Außerdem sollte verstärkt Praxisbezug in der schulischen Laufbahn hergestellt werden.

Katrin Göring-Eckardt nickte bei der Vorstellung der Vision vehement und antwortete, dass sie sich seit Jahren für die Zentralisierung des Bildungssystems einsetze, damit aber gegen Wände laufe. Viele Abgeordnete würden darin die Gefahr der Vereinnahmung sehen und auf dem Förderalismus als zuerst da gewesenem System beharren. Sie verstehe, dass beides gut abgewogen werden müsse, bleibe aber gerade beim Bildungsthema sehr stark bei ihrer Position. 

 

Bürgernähe und Beteiligung

Visionen drei und vier drehen sich um das Verhältnis zwischen Politik und den Menschen, die die Politik vertritt. Wir haben sie daher gesammelt vorgestellt, bevor Frau Göring-Eckardt geantwortet hat.

Vision 3: Bürgernähe – sowohl von unten als auch von oben 

In der dritten Vision wird die Wechselseitigkeit von Zugang und Beteiligung zum Thema: Politik müsse verständlich sein, damit sich Bürger:innen politisch engagieren. Daher schlug die Gruppe vor, dass es gut aufbereitete Zusammenfassungen der Entscheidungsprozesse geben solle (die nicht unbedingt vom Bundestag selbst erstellt werden müssten). Außerdem gab es die konkrete Idee des „Vorschlags der Woche“: Ein Forum sammelt Vorschläge von Bürger:innen, arbeitet die Ideen weiter aus und gibt sie als Feedback zurück an die Bundespolitik.

Vision 4: Interessensvertretung des Volkes

Teilnehmende dieser Gruppe wünschten sich mehr Formate, die Bürger:innen in politische Prozesse einbinden, zum Beispiel Umfragen oder Volksentscheide zu grundsätzlichen Fragen (auf Bundesebene). Außerdem sollte das Abstimmungs- und Argumentationsverhalten der Abgeordneten inhaltlich auf Fakten geprüft werden. 

Auch hier hat Katrin Göring-Eckardt grundsätzliches Verständnis für die Wünsche. Gleichzeitig betont sie, dass nachhaltiges Nachdenken über Entscheidungen und gute Diskussionen, die sich ausgewogen mit allen Sichtweisen beschäftigen, durchaus gibt. Was ihr aber nochmal deutlicher geworden sei: Es fehle die Weitergabe von Informationen an die Menschen und vielleicht fehle auch der Ort, wo solche Informationen gebündelt werden könnten.

Katrin Göring-Eckardt befürwortet ganz klar Formate wie den Wahlkreistag. Die auf Basis wissenschaftlicher Informationen stattfindenden Diskussionen machen die Teilnehmenden solcher Austauschformate kompetent in der Meinungsbildung. Dass verschiedene Sichtweisen ausgetauscht werden, sei hierbei der größte Garant für ein ganzheitliches Verständnis von Sachverhalten. Volksentscheide würden ihrer Meinung nach genau an dem Punkt zu kurz greifen. Entscheiden können heiße nicht, dass sich Menschen auch wirklich ausführlich Gedanken über die Konsequenzen machen würden. Sie nannte das Beispiel des Brexits und ergänzte, sie frage sich, ob manche Entscheidungen vielleicht anders getroffen würden, wären sie vorher zum Beispiel an einem Wahlkreistag besprochen worden.

Vision 5: Chancengleichheit

Hier stand die Frage nach dem Zugang zur Politik im Zentrum. Anträge seien zum Beispiel nicht in einer Sprache verfasst, die die meisten Betroffenen verstehen. Außerdem sollten Betroffene stärker als Expert:innen einbezogen werden, bspw. bei Diskussionen über alltagsnahe Themen, sowie als Testgruppe für spezifische Antragsprozesse. Außerdem wurde die Ganztagsschule für alle gefordert. Auch der fehlende Zugang zu Kultur wurde bemängelt: Barrierefreiheit sollte in kulturellen Institutionen umgesetzt werden sowie Tickets für alle erschwinglich sein. 

Dem Vorschlag, den Göring-Eckardt super fand, fügte sie hinzu, dass sie die Hürden, Anträge für soziale Leistungen auszufüllen, zu hoch finde. Der Papierkram, die Sprache, all das mache es schwer, wirklich durchzusteigen und führe dazu, dass viele die Hilfen gar nicht in Anspruch nehmen, die ihnen eigentlich zustehen. Dass Betroffene einbezogen werden, sei zum Teil der Fall, könne aber noch stärker passieren. 

 

“Ich hätte nie gedacht, dass Politiker:innen so greifbar sind”

Im zweiten Teil des Treffens widmeten wir uns der Frage, wie der Wahlkreisrat zusammenarbeiten möchte. Nach einer kurzen Vorstellung der Möglichkeiten, was der Wahlkreisrat alles machen könnte, sollten die Teilnehmenden ein Bild davon zeichnen, wozu sie im Wahlkreisrat am meisten Lust hätten. 

Die meisten waren sich einig: Gespräche mit Abgeordneten zu zentralen Themen, wären das Wichtigste. Gerade zu merken, wie nahbar und greifbar Politiker:innen sein können, habe den größten Effekt auf ihre Sicht auf die Politik. Themen wie Gerechtigkeit, Klimapolitik oder Künstliche Intelligenz liegen oben auf. Das Erlebnis, gehört zu werden, zu verstetigen, gebe den Teilnehmenden das Gefühl, selbst etwas bewirken und verändern zu können und stärke ihre Initiativbereitschaft. 

Außerdem wollen die Teilnehmenden lernen, Vorträge zu bestimmten Themen anhören und sich zu politischen Themen austauschen. Auch konkrete Ideen wie eine Veranstaltung zu Fake News und Argumentieren gegen Rechts wurden vorgeschlagen. 

Als zentrale Herausforderungen sehen die Teilnehmenden den Ort für die Treffen: Viele wohnen in Erfurt, aber einige auch in Weimar. Für einige wäre ein digitales Treffen machbar, für andere gar nicht. Daher ist das Wie noch eine Frage, am Was wird es aber nicht scheitern!